Der König unseres Landes liebt seine Soldaten.
Ganz besonders liebt er seine Grenadiere: sehr große junge Männer, die vor den Palästen des Königs Wache stehen müssen.
Ein Mann in B hat nun einen Sohn, der wird sehr groß. „Der wird Grenadier!“ sagen die Leute. „Ich hoffe nicht!“ antwortet der Vater. „Mein Sohn soll mein Handwerk lernen und bei uns bleiben!“
Wilhelm, so heißt der junge Mann, lernt also bei seinem Vater einen Beruf.
Samstags geht er tanzen und da lernt er ein schönes und liebes junges Mädchen kennen: Sophie,
Tochter armer Leute, die im Schloss als Küchenhilfe arbeitet.
Sie lieben sich, sie gehen zusammen, nach der Arbeit läuft er oft zum Schloss zu seiner Sophie. Da sieht ihn eines Tages der König. „So ein großer Junge! Der muss bei mir Grenadier werden!“
Wilhelm wird Soldat. Er hat aber nur an zwei Tagen in der Woche Wache am Schloss.
An den anderen Tagen hat er Zeit für Sophie. Zu viel Zeit.
Sophie muss jeden Tag arbeiten und hat oft keine Zeit für ihren Wilhelm.
Was tut er dann? Er geht in die Kneipe* und trinkt. Er trinkt dort aber nicht nur, er spielt auch Karten.
Er spielt um Geld. Manchmal gewinnt er, aber er verliert auch oft. Er macht Schulden**, immer mehr.
Auch der König spielt. Nicht in der Kneipe, er spielt in einem großen Saal in seinem Schloss. Wilhelm steht dort Wache.
Er sieht den König viel Geld verlieren. Er sieht einmal aber auch, wie der 3000 Taler gewinnt, in einen Sack steckt und
auf dem Tisch liegen lässt. Es ist spät abends, alle gehen schnell schlafen, nur der Grenadier steht noch da, allein.
Was tut er? Niemand kann ihn sehen. Mit dem Geld kann er seine Spielschulden bezahlen. Er nimmt es.
Am nächsten Morgen sucht der König das Geld. Er will es seiner kleinen Tochter schenken.
Aber der Sack mit den Talern ist weg.
Die Polizei sucht das Geld. Wer war mit dem König im Saal? Bald kommen sie auf Wilhelm, den Grenadier.
In seinem Zimmer finden sie den Sack des Königs. Das Geld ist weg.
Der König ist böse. „Ein Grenadier? Und nimmt mein Geld? Der Mann muss sterben! Kopf ab! Morgen Abend!“
Sophie hört, was Wilhelm getan hat. Was soll sie tun? Ihr Wilhelm … hat das Geld genommen, ja, aber sie liebt ihn so sehr.
Ihr Wilhelm soll leben!
Sophie kennt das Kindermädchen von der Tochter des Königs.
Der König liebt sein Kind über alles und jeden Morgen um acht lässt er es zu sich bringen, sprich und spielt mit ihm.
Sophie spricht mit dem Kindermädchen. „Bitte, du musst mir helfen!“
Am nächsten Morgen bringt man dem König seine kleine Tochter. Sie geht zu ihrem Vater und sagt nur: „Glanadie soll leben!“ „Der was?“ „Glanadie! Leben! Bitte!“ „Na gut, mein liebes Kind“. Wilhelm darf leben. Er muss drei Jahre ins Gefängnis. Das ist nicht viel für 3000 Taler.
Sophie ist glücklich. Sie wartet auf ihren Wilhelm. Seine Eltern sterben nach wenigen Monaten.
Sophie bringt ihm täglich Essen ins Gefängnis. Ihr Liebster soll ja nicht hungern!
Sie wartet drei lange Jahre. Dann kommt er endlich frei. „Jetzt wird alles wieder gut!“ sagt sie.
Aber was soll Wilhelm tun? In der Stadt findet er sicher keine Arbeit. Wer im Gefängnis war, den will niemand mehr.
Wilhelm erbt*** von seinen Eltern 2000 Taler. Aber es gibt da noch eine alte Cousine, die hat viel Geld.
Mit Sophie besucht er die alte Dame. Sie erzählen ihr von sich, von der langen Zeit des Wartens.
„Ich will neu beginnen!“ erklärt ihr Wilhelm. Sophie weint. Die Cousine weint auch. Zwei Tage später hat sie einen Infarkt.
Wilhelm erbt ihr Geld. Jetzt hat er 15000 Taler. Das ist viel Geld.
„Ich will nach K gehen, geliebte Sophie, und dort ein Geschäft aufmachen. Ich schreibe dir jede Woche!
Dann, in einem Jahr, kommst du zu mir und wir heiraten!“
Wieder ist Sophie allein. Jede Woche kommt ein liebevoller Brief von Wilhelm.
Er will ein Geschäft in K kaufen, schreibt er, dann doch lieber in D, dann vielleicht doch kein Geschäft, sondern ein Schiff?
Sophie wartet. Sie ist schwanger****. Sie schreibt es Wilhelm. „Ich komme bald wieder“ schreibt er zurück.
Er hat immer neue Projekte. Die Monate vergehen, der neunte kommt, sie bekommt eine kleine Tochter.
Wilhelm schreibt nicht mehr. Sophie wartet.
Monate später kommt ein Advokat in ihre Stadt. „Ich habe Wilhelm gesehen!“ erzählt er.
Er lebt jetzt in M und will heiraten. Eine sehr schöne, reiche junge Dame.
Beste Familie!“ In der ganzen Stadt spricht man über Wilhelm, den treulosen Wilhelm und seine Sophie.
Aber wo ist sie?
Sophie ist weg. Alle suchen sie. Am zweiten Tag kommt ein Kind ins Haus der Eltern. „Sophie sitzt auf einem Apfelbaum!“
Die Eltern laufen zu dem Baum. „Was machst du da, Sophie?“ „Ich warte auf meinen Wilhelm!
Von hier kann ich ihn früher sehen, wenn er kommt!“
Zwei Männer bringen Sophie ins Haus ihrer Eltern. Am nächsten Morgen sitzt sie wieder auf dem Baum.
„Das geht nicht!“ sagt die Mutter.
„Sie kann vom Baum fallen! Mein Kind muss zu Hause bleiben!“ Man bringt sie wieder ins haus der Eltern.
Die Mutter verschließt die Tür zu Sophies Zimmer.
In der Nacht noch steigt Sophie durchs Fenster aus dem Zimmer. Sie findet keinen Halt. Sie fällt. Sie ist tot.
*die Kneipe(n): pub. **die Schulden(Plural): debts. ***erben: to inherit. ****schwanger: pregnant.